Andrargs Schriften Teil 2

Es geht weiter. Es muss weitergehen. Doch es wird mit Teil 2 nicht enden. Freu dich auf Teil 3 und 4.

Aber hier erstmal eine Leseprobe aus Teil 2.

Tokofe, dritter Mond 1303

Die Schatten regten sich unruhig, dünne Fäden glitten immer wieder zu den Menschen hinüber. Ich hatte mich immer noch nicht wieder daran gewöhnt, unter so vielen fremden Menschen zu sein. Jedes Leid aus meiner Umgebung schwappte zu mir und meine Schatten nährten sich, wo sie konnten. Manches Mal war schon einer an seinem Tisch zusammengesunken. Veseara stupste mich an und ich zog meine Schatten enger an mich heran, bis der Mensch, den es getroffen hatte, wieder aufrecht am Tisch saß.

„Ein bisschen mehr Kontrolle, Davos!“, raunte sie mir zu.

Veseara bei mir zu haben, war hilfreich. Es war ein grimmiger Gedanke, ein mürrischer, einer den ich nicht haben wollte. Doch dass sie ihre Erfahrung mit mir teilte, rettete mich aus so manchen Situationen, in denen ich allein verloren gewesen wäre.

„Danke“, knirschte ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Auch wenn sie nützlich sein mochte, froh war ich deshalb noch lange nicht, dass sie bei mir war. Eine ausbalancierte Mischung zwischen Hass und Freundschaft stellte sich zwischen uns ein, die durch wiederkehrende Forderungen von ihr mal in die eine, mal in die andere Richtung geschubst wurde.

Ich hob den schweren Krug, der von einem Kellner gerade vor mir abgestellt worden war, und schüttete die Hälfte des kalten Biers in mich hinein. Es lenkte mich ab und ich konnte mich sammeln. Mit einem lauten Klonk stellte ich den Krug wieder auf den von Gebrauchsspuren übersäten Holztisch. Langsam ließ ich den Blick durch die Taverne wandern. Es war eines der Gasthäuser, die von außen eher unscheinbar waren. Mitten in Tokofe gelegen, mussten die Besitzer sich niemals Gedanken über mangelnde Kundschaft machen. Die Männer aus der Umgebung kamen ebenso für ein munteres Zusammentreffen nach der Arbeit hierher wie viele Reisende, die schon seit Jahren immer im selben Gasthaus abstiegen. Veseara führte uns hierher, ich selbst hatte in Tokofe noch nie eine Unterkunft gebraucht. Hier war mein Zuhause.

Ich kippte nun auch den zweiten Teil des Biers in mich hinein. Es machte mich nicht betrunken, aber gab mir wenigstens einen Hauch des Gefühls, dazuzugehören. Ich lauschte den Stimmen um mich herum. Am Nebentisch zog gerade einer die Augenbrauen zusammen und erklärte: „Heute kamen gleich drei Fremde bei mir vorbei.“ Fremde, erinnerte ich mich, waren im Grunde genommen alle, die nicht aus Tokofe oder Orfehn, der dazugehörigen Grafschaft stammten.
„Hm? Wie dat?“

Der erste trank einige Schlucke. Ich wartete mindestens so gespannt, wie sein Gesprächspartner. Einfach nur, weil ich nichts besseres zu tun hatte.

„Geld in Edelsteine tauschen. Pff.“

„Is doch jut, oder? Is doch jenau dat, wat du brauchs?“

„Sischer, davon leb ich ja. Aber drei Fremde? An einem Tag? Ich sach dir, da stimmt wat nicht.“

„Wat meinstn du?“

„Na, wenn drei Fremde kommen, an einem Tag. Wonach riechtn dat?“

„Hä?“

„Na, die haben Angst um ihre Sachen! Wollen anlegen, verstehste? Und wenn gleich drei kommen, dat sin nich nur Räuber. Dat is mehr.“

„Aso, dat meinste. Die Hyld, die sachte heute wat davon, dat die Grafen sisch da net so einig sin. Oder waren et doch de Salirier?“

„Mina hat jesacht, Salirier hätten angegriffen. Aber dat kann doch nich alles sin. Nein, Tomas. Irjendwat is da los.“ Damit stand er auf und kämpfte sich durch die Menschenmasse ins Freie. Ich hörte über die anderen Laute hinweg, wie er sich vor der Tür erleichterte.

Draußen wäre es weniger auffällig, ging es mir durch den Kopf. Ich könnte einfach hinausgehen.

Ohne es zu bemerken, hatte ich mich schon halb vom Tisch erhoben, als Veseara mich wieder herunterzog.

„Zieh deine Schatten kurz näher, Davos. Ich hab etwas für dich, und es soll sonst keiner sehen.“

Ich zerrte an meinen Schatten, hüllte uns hinein und warf einen Blick auf das, was die Feuerdämonin mir hinhielt. Es war ein schlagendes Herz. Vorsichtig streckte ich meine Hand aus und sie legte es hinein. Es war warm. Ich hob es an mein Ohr, lauschte dem Schlagen.

„Wieso lebt es?“

„Lass mir meine Geheimnisse, Davos. Aber es ist für dich. Steck es ein.“

Verwundert packte ich es behutsam in die Tasche meines Umhangs, die direkt an meinem Herzen lag. Ich spürte es hindurch, es klopfte gegen mich. Meine Schatten zischten, flüsterten und konzentrierten sich um das Herz. Mit klaren Augen blickte ich Veseara an, die lächelnd neben mir saß. Wäre ich nicht so sehr an ihren Anblick gewöhnt, ein Schaudern hätte mich erfasst, denn ihr Lächeln war Furcht einflößend.

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